Im öffentlichen Teil der Jahres-Hauptversammlung des Kunstverein Hochfranken Selb e.V. am 18.02.2020 im Rosenthal Casino in Selb hielt Dr. Dieter Rossmeissel (Kultur- und Bildungspolitiker) einen hochinteressanten Vortrag über die Kommunale Kulturpolitik und deren Finanzierung mit anschließender kleinen Diskussionsrunde. Im folgenden findet sich die gekürzte Fassung des Referats:

Referent: Dr. Dieter Rossmeissel auf der Jahres-Hauptversammlung
Die Funktion einer Stadt ist es:
  • Wohnraum zur Verfügung zu stellen.
  • Ausreichend Gewerbe anzusiedeln, um Arbeitsplätze anbieten,
  • sowie Handel zu etablieren, um den (täglichen) Bedarf decken zu können.
  • Und schließlich eine Basis für die Kultur bzw. Soziokultur zu schaffen. Sprich Bildungsstätten, soziale Treffpunkte, Theater, Museen, Bibliotheken, Sport und Gesundheitswesen anzubieten und zu fördern.
Entscheidende Standortfaktoren

Neben einer guten Verkehrsanbindung (Bahn, Flughafen, Autobahn) sind folgende vier Standortfaktoren einer Stadt entscheidend, um eine Stadt für die Bürger attraktiv zu machen:

  1. Die soziale Sicherheit und damit die eigene Perspektive
  2. Bildungs-Infrastruktur und damit die generationsübergreifende Perspektive
  3. ökologische Qualität und damit Lebens-Qualität
  4. Kulturelle Attraktivität und damit Erlebnis-Qualität

Eine „Stadt“ ist gesellschaftlicher Lebenszusammenhang und somit nicht statisch. Mit anderen Worten: Veränderungen sind eine Notwendigkeit und stellen ein Potenzial dar. Sie müssen aber auch aktiv mitgestaltet werden und das erfordert die Fähigkeit zur Partizipation und damit Bildung.

Kultur braucht Ideen, Künstler, Orte und Geld.

Welche Möglichkeit der Kultur-Finanzierung sind gegeben?

1. Öffentliche Finanzierung

Chance: freiwillige Leistungen = frei gestaltbar
Gefahr: kürzbar, sogar verzichtbar
ABER:
Wer Kultur verspielt, verspielt auch die gegenwärtige Attraktivität der Stadt und damit ihre Zukunftsfähigkeit (bei geringem Nutzen).

Kultur ist im Verwaltungsrecht zwar eine freiwillige Leistung, aber sie ist Staatsziel in der Verfassung („Bayern ist ein Kulturstaat.“) und Menschenrecht in der Charta der UNO (Art. 27). Nur wer Verwaltungsrecht über Verfassungsrecht stellt, kann Kultur zur finanziellen Verfügungsmasse degradieren. Er steht damit aber eigentlich außerhalb unserer Verfassung!

Die Verteilung der öffentlichen Gelder auf die Kultursparten ist sehr unterschiedlich und produziert neben den „Gewinnern“ zwangsläufig auch Verteilungs-Verlierer. Dazu kommt, dass oft die Ausgaben angesichts limitierten Kassen für die Infrastruktur (z.B. Theater) und den laufenden Programmen (Ensemble) in Konkurrenz treten.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Traut sich die Stadt überhaupt einen öffentlichen Kulturauftrag zu? Ist sie willens und fähig, Kultur in städtischer Trägerschaft zu gestalten? Oder konzentriert sie sich auf Kulturförderung, mit der sie Kulturangebote in der Trägerschaft freier Künstler und Bürgergruppen ermöglicht?

Zentrale  Aufgabe von Kulturpolitik ist es daher, zwischen diesen zwei Polen (Kulturauftrag – Kulturförderung) ein ausgewogenes Verhältnis zu schaffen. Dabei darf Kulturförderung nicht als Instrument benutzt werden, die Freiheit der Kunst mit fiskalischen Mitteln zu gängeln oder gar zu zensieren. Aufgabe von Kulturförderung muss es vielmehr sein, gerade Schwieriges, Sperriges, nicht immer dem eigenen ästhetischen Empfinden Entsprechendes zuzulassen. Nur so verstößt öffentliche Kulturförderung nicht gegen das Verfassungsgebot der Freiheit der Kunst. Nur so ermöglicht sie die Vielfalt, die Kunst und Kultur erst interessant machen. Manchmal muss der Künstler auch die Hand beißen, die ihn füttert!

2009 flossen rund 8-9 Mrd. € in öffentliche Kulturprojekte. 50% dieser Finanzmittel müssen von den Kommunen aufgebracht werden, während sich Bund und Länder die restlichen 50% teilen.

2. Kultur- & Kreativwirtschaft

Kultur- und Kreativwirtschaft umfasst alles, wo Menschen aktiv sind, sich in irgendeiner Weise mit Kultur (Kunst, Musik, Literatur, Film, Rundfunk, darstellende Künste, Architektur, Design, Presse) und Kreativität (Werbung, Software- / Spiele-Industrie) beschäftigen und produktive Leistungen hervorbringen egal, wie es finanziert wird. Sie ist in Deutschland seit einigen Jahren ein wichtiges Betätigungsfeld der Wirtschaftspolitik von Bund, Ländern und zahlreichen Kommunen ebenso wie der Europäischen Union.

Besonders nah an den Bedürfnissen einer kulturell geprägten Stadtentwicklung sind nun mal Buchmarkt, Musikwirtschaft oder Kunstmarkt (mit  Künstlern und Galerien) sowie performative Kunst.

Kultureinrichtungen erscheinen jedoch oft als industrielle Sukzessions-Gewächse wie z.B. das Porzellanikon in Selb und Hohenberg. Dabei ist die Kultur keineswegs nur das Sukzessions-Gewächs auf den ökonomischen Ruinen. Es sieht oft so aus, weil offenbar Kunst und Kultur die einzigen sind, denen Alternativen zu Leerstand und Abriss einfallen, die mit industriellen Brachen kreativ umgehen können. Tatsächlich aber ist die Beziehung zwischen beiden wechselseitig.

Ein Ersatz für fehlende öffentliche Mittel ist sie allerdings nicht geeignet. Somit richtet sich der sehnsuchtsvolle Blick der Kulturschaffenden auf den dritten Bereich der Kultur-Finanzierung:

3. Sponsoring

Sponsoring ist kein selbstloses, aus zwecklosem Kunstinteresse geborenes Mäzenatentum; es ist Teil des Firmen-Marketings (übrigens früher der Adelshöfe und Kirchen). Es steht somit nicht primär im Interesse der Kunst, sondern im Eigeninteresse des Sponsors. Und das ist legitim.

Die Ziele des unternehmerischen Sponsorings im Kulturbereich sind im wesentlichen:

  • Sympathie gewinnen (Hier liegt eine Stärke der Kultur, die einen Imagetransfer auch für kleinere, sympathische Projekte ermöglicht.)
  • Demonstration gesellschaftlicher Verantwortung des Unternehmens als „social responsibility“
  • Mitarbeitermotivation (über Sonderführungen, Sonderveranstaltungen, Freikarten u.ä.; wird von Kulturveranstaltern leider viel zu selten in den Fokus genommen

Doch die wichtigsten unternehmerischen Sponsoring-Ziele funktionieren in anderen Bereichen besser als in der Kultur. Das wären den Bekanntheitsgrad von Unternehmen und Produkten zu steigern, was im Sport (Mega-Events) besser gelingt. Und Vertrauen in die Marke herstellen, was im boomenden Öko-Sponsoring besser gelingt. Folglich fällt das Kultursponsoring relativ gering aus. Für die Zeit um 2012 wird das jährliche Kultursponsoring in Deutschland auf rund 300 Mio € geschätzt – es liegt damit aber doch nur bei etwa 4 % der öffentlichen Kulturausgaben.

Top-Plätze bei Sponsoring-Partnerschaften im Kulturbereich belegen:

  • Banken (64 %),
  • Medien im Lokal-TV, Hörfunk und Verlage (39 %)
  • und die oft lokal strukturierte Energiewirtschaft (38 %).

Auf den letzten Plätzen unter den Top 10 liegen:

  • Tourismus (21 %),
  • produzierendes Gewerbe (20 %)
  • und IT-Dienstleister (19 %).

Die Größe der Fördertöpfe in den Unternehmen ist konjunkturabhängig und damit hoch volatil. Zudem sind es in den meisten Städten immer dieselben Unternehmen, die von immer mehr Kulturinstitutionen und Künstlern angesprochen werden. Je mehr die Schere zwischen kulturellen Auftrag und Förderung durch die öffentliche Hand auseinander klafft, umso unsicherer wird die Situation für die Kultur.

Ein weiteres Problem kommt hinzu: Das Zeitalter egalitärer Massen-Befriedigung ist vorbei. Jeder strebt das Besondere, das Einmalige an, das ihn von allen anderen unterscheidet. Das gilt für Produkte wie für Kulturangebote gleichermaßen.

Fazit:

Soll Kultur ihren Verfassungsauftrag erfüllen und für die Entwicklung einer so lebenswerten wie zukunftsfähigen Stadt wirksam sein, darf man sie – bei aller Wertschätzung von Kultur-Wirtschaft und Sponsoring – nicht dem Zufall des Marktes überlassen. Kulturpolitik ist immer Gesellschaftspolitik. Sie braucht den öffentlichen, kontroversen Diskurs ebenso, wie die Stadt, für ihre Entwicklung, auf die Potenziale einer freien Kunst und Kulturszene nicht verzichten kann.

Das ist Aufgabe aller Ressorts und des gesamten Rates, weil es eben nicht um ein Sonderinteresse einzelner Kultur-Akteure geht, sondern um die Entwicklung der Stadt.